Grundelemente christlicher Spiritualität
(1) Gott begegnen
Glauben kann man nicht, ohne Gott zu lieben. Liebe aber ist eine personale Kategorie. Christliche Spiritualität ist immer Begegnung mit dem lebendigen Gott, ist darum Liebesmystik und keine Selbstmystik. Spirituelle Einheitserfahrung meint in christlicher Sicht keine Seins-Einheit, in der die Personalität verschwindet. Gott und Mensch bzw. Gott und Welt bleiben auch in einer liebenden Einheitserfahrung ein bleibendes Gegenüber.
(2) Christus nachfolgen
In Jesus Christus hat Gott uns Menschen sein eigenes Antlitz zugewandt. Christliche Spiritualität wird Gott darum in diesem Antlitz Christi, in der Person des Jesus von Nazareth, suchen und finden. Er ist die Ikone Gottes. In christlicher Spiritualität wenden wir uns immer stärker ihm zu. Im Gegensatz zu Entwürfen, denen es um eine Sakralisierung bzw. Vergöttlichung der Psyche geht, verweist christliche Spiritualität auf den Weg der Nachfolge.
(3) Die Bibel lesen
Christliche Spiritualität orientiert sich an der Bibel als dem Wort, das Gott uns geschenkt hat. Wer Gott ist und was unsere spirituellen Erfahrungen bedeuten, wissen wir durch das Zeugnis der biblischen Schriften. Im Hören auf das Zeugnis der Bibel erfahre ich, dass Gott sich an einen Weg durch die Geschichte, an sein Volk Israel und an seine Kirche gebunden hat, gerade weil er in seiner Liebe seine ganze Welt meint. Das aber erfahre ich nicht in der Versenkung in mich selbst. Ich erfahre es nur im Hören auf das Zeugnis der Bibel.
(4) Sich übend der Gnade überlassen
Christliche Spiritualität dankt Gott für die Gnade, die er uns durch das Leben, das Leiden und die Auferstehung Jesu von Nazareth eröffnet hat. Darum ist christliche Spiritualität kein Leistungs- und auch kein Erlösungsweg. Als Übungsweg fördert sie die Liebe zu und die Hingabe an Gott, durch die wir uns nichts verdienen. Wir üben das Hören auf Gott, das Hinsehen auf sein Geheimnis, die Aufmerksamkeit für seine Gegenwart ein. Übungsziel ist nicht die Vervollkommnung eines Bewusstseinszustandes sondern das Verweilen in der Gegenwart Gottes. So werden wir durch den Geist Gottes mehr und mehr umgeformt in das Bild Christi. Was für den Glauben gilt, gilt ebenso für christliche Spiritualität. Wir erwerben uns nichts. Wir gewöhnen uns an das, was Gott uns in Christus immer schon geschenkt hat.
(5) In der Kirche leben und glauben
Glaubend und betend gehören wir Menschen auf dem Weg christlicher Spiritualität in die Gemeinschaft der Kirche, auch wenn unser persönlicher geistlicher Weg immer Züge der Einsamkeit in sich trägt. Als Glaubende sind wir verwurzelt in der Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern, die gemeinsam auf Gott hören und einander dabei begleiten. Einsames Beten, Hören und Schweigen verweist immer auf die Gemeinschaft der Glaubenden und damit auf die reale Kirche.
(6) Gottes Wege suchen und gehen
Christliche Spiritualität setzt immer wieder biografisch bei der natürlichen religiösen Sehnsucht des Menschen ein. Die Erfüllung
dieser Sehnsucht wird immer wieder zeitweilige Begleiterscheinung und Gegenstand christlicher Hoffnung sein, nicht aber deren angestrebtes unmittelbares Ziel und nicht deren Begründung. Gott ruft uns mit unserer natürlichen Sehnsucht hinein in seine große Geschichte mit dieser Welt.
(7) Der Welt dienen
Von ihrer innersten Ausrichtung als Zuwendung zu Gott weist uns christliche Spiritualität dorthin, wo Gott gewiss und immer zu finden ist: zu den Armen, den Mühseligen und Beladenen und damit zu Gottes geschundener Welt. Von ihrem innersten Anliegen her, der Zuwendung zu Gott und damit zu seinen Anliegen, ist christliche Spiritualität in ihrer Zielrichtung immer auch diakonisch und damit auch politisch.
Spurgruppe Netzwerk christliche Spiritualität, Berlin 20. Oktober 2011